Angst

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Fine-Art „Giclée“-Druck auf Leinen – gespannt auf 2 cm Holzkeilrahmen

Illustration von Roman Kroke (2009)

Maße: 40 cm x 30 cm

Titel: Sprache frei wählbar  – bei Ihrer Bestellung bitte angeben (Vorschau: Französisch)

Erläuterungen des Künstlers zur Illustration:

Die Illustration entstand auf Grundlage folgender Zitate aus Etty Hillesums Tagebuch:

„ (…) in aller Frühe standen wir in einer großen Gruppe im Lokal der Gestapo, die Lebensumstände waren in diesem Augenblick für alle von uns dieselben. Wir waren alle im selben Raum, die Männer hinter dem Pult ebenso wie die Befragten. Aber das Leben eines jeden war durch die Art bestimmt, wie er sich innerlich dazu stellte. Am meisten fiel ein hin- und herlaufender junger Mann (…) auf (…). Er suchte nach Vorwänden, um die unglücklichen Juden anzuschreien: Hände aus den Taschen, bitte … usw. Ich fand ihn bedauernswerter als die Angeschrienen, und diese nur insofern bedauernswert, als sie Angst hatten. Als ich vor sein Pult trat, brüllte er mich plötzlich an: « Was finden sie hier lächerlich ». Ich hätte gern gesagt: « Außer ihnen finde ich nichts lächerlich hier », aber aus diplomatischen Erwägungen erschien es mir besser, das zu unterlassen. « Sie lachen ja fortwährend », brüllte er weiter. Und ich ganz unschuldig: « Dessen bin ich mir gar nicht bewusst, das ist mein gewöhnliches Gesicht ». Und er: « Machen sie keinen Blödsinn, bitte, gehen sie rrraus », mit einem Gesicht wie: mit dir rede ich noch. (…)

Ich habe eigentlich keine Angst. Nicht weil ich besonders tapfer wäre, sondern in dem Gefühl, dass ich es immer noch mit Menschen zu tun habe und dass ich versuchen will, jede Äußerung zu verstehen (…). Und das war wieder ein historischer Moment an diesem Morgen: nicht dass ich von einem unglücklichen Gestapoburschen angeschrien wurde, sondern dass ich darüber keineswegs entrüstet war und eher Mitleid mit ihm hatte, so dass ich ihn am liebsten gefragt hätte: war deine Jugend denn so unglücklich, oder hat dein Mädchen dich betrogen? Er sah gequält und aufgeregt aus (…). Am liebsten hätte ich ihn gleich in psychologische Behandlung genommen, wobei mir sehr stark bewusst war, dass solche Burschen nur bedauernswert sind, solange sie nichts Böses anrichten können, aber lebensgefährlich, wenn sie auf die Menschheit losgelassen werden. Verbrecherisch ist nur das System, das sich dieser Kerle bedient. Und wenn vom Ausrotten die Rede ist, dann sollte das Böse im Menschen und nicht der Mensch ausgerottet werden.“

27. Februar 1942

Durch den Prozess des Schreibens reifte Ettys Spiritualität. Sie erarbeitete sich eine innere Welt, eine Freiheit, die unantastbar und von Repressionen der Außenwelt unabhängig war (vgl. dazu die Ausführungen zur Illustration „Himmel“).

Ettys beeindruckende Stärke bestand in der Auseinandersetzung mit den Tätern, ihren Taten und Motiven. Nur aus der Nähe konnte sie diese beobachten, intellektuell durchdringen und die Reflexionen hierüber in ihrem Tagebuch niederschreiben. Bewusste Begegnung anstatt Distanz. Diese Grundhaltung habe ich zusätzlich durch die Spinne (= Etty) symbolisiert, die direkt auf der Schulter des Gestapo-Offiziers sitzt (zur „Spinnen“-Metapher vgl. die Ausführungen zur Illustration „Die Spinne und ihr Netz“).

„Zur Erniedrigung sind zwei Leute notwendig. Einer, der erniedrigt, und einer, den man erniedrigen will, oder vor allem: der sich erniedrigen lässt. Entfällt das letztere, ist also die passive Seite gegen jede Erniedrigung immun, dann verpuffen die Erniedrigungen in der Luft“ (Das denkende Herz – Die Tagebücher Etty Hillesums 1941-1943, 20. Aufl., Rowohlt Taschenbuch Verlag, Okt. 2007, S. 114).

 Die Illustration entstand auf Grundlage der deutschen Veröffentlichung von Hillesums Schriften. Die deutsche Übersetzung vermittelt den Anschein, dass Etty alleine zum Gestapo-Offizier hervortritt – das gleiche wird durch die englische Veröffentlichung suggeriert (S. 85 in Etty Hillesum, An Interrupted Life and Letters from Westerbork. New York: Henry Holt, 1996). Über die französische Übersetzung entdeckte ich erst später, dass Etty diese Situation hingegen zusammen mit ihrem Mentor Julius Spier an ihrer Seite bewältigt (S. 368 in Les Écrits d’Etty Hillesum: Journaux et Lettres 1941-1943, Édition intégrale, Éditions du Seuil, novembre 2008). Ettys Verhalten bleibt ungeachtet dessen bemerkenswert, jedoch veranschaulicht diese Passage, wie durch eine ungenaue Übersetzung Situationen in einem anderen Licht erscheinen können.

 Die Verunsicherung der Offiziere angesichts dieser ungewohnten Souveränität habe ich durch die Schweißperlen am Nacken sowie das nervöse Spielen mit dem Kugelschreiber verbildlicht.